»Old Ales sind wie Bettwanzen, sie können unter fast allen Umständen überleben«

Vintage-Bier-Sammler Ian Huntley im Interview.

Ian Huntley besitzt wohl einen der größten und definitiv faszinierendsten privaten Vintage-Bierkeller der Welt. Etwa 5000 Flaschen Vintage-Biere, darunter mehr als 500 britische Krönungsbiere der 1930er und 1950er Jahre, nennt der in Deutschland lebende gebürtige USAmerikaner sein Eigen. Mit dem Sammeln begann er auch zur Geschichte der Biere und Brauereien, historischen und heutigen Braumethoden und zur Reifung verschiedener Bierstile zu forschen. Sein Wissen bündelt der 49-Jährige derzeit zu einem Buch, das die bedeutsamsten Biere aller Zeiten vorstellen soll.

Herr Huntley, wie alt ist das älteste Bier in Ihrem Keller?
Das älteste Bier in meinem Keller ist ein Bass Ratcliffe Strong Ale von 1869. Ich hatte ein Original Allsopp’s Arctic Ale von 1852, aber ich habe es geöffnet, um seinen Inhalt zu analysieren. Das war wahrscheinlich der größte Fehler, den ich je gemacht habe, denn ich konnte die Flasche niemals ersetzen.

Sie haben nach eigener Schätzung rund 5000 Vintage-Biere in Ihrem Keller. Wo und unter welchen Bedingungen lagern Sie die alle?
Meine Biere lagern in einem temperaturgeregelten Keller zwischen 10 und 11 °C. Sie befinden sich in lichtundurchlässigen Kisten. Natürlich habe ich auch Vitrinen zu Hause, in denen ich einige meiner seltensten Biere ausstelle.

Warum sammeln Sie Vintage-Biere?
Ich hatte schon immer eine Neigung, Dinge zu sammeln. Das begann in meiner Kindheit mit Sportkarten und hat sich dann langsam auf das Sammeln von Vintage-Bieren verlagert. Ich war etwa 16 Jahre alt, als mich die Faszination für Bier packte. Mein erstes Bier war ein 1986er Rodenbach Alexander und es hat mir die Tür für meine Liebe zum Bier geöffnet. Ich weiß noch, wie ich meine deutsche Großmutter anflehte, mir in meinem neu entdeckten Interesse Nachsicht zu zeigen, denn wie man weiß, darf man in den USA erst ab 21 Jahren Bier kaufen. Ich erinnere mich, wie sie mir ein 1986er Hürlimann-Samichlaus-Bier, ein 1986er Thomas Hardy’s Ale, ein Rodenbach Alexander und ein Gale’s Prize Old Ale kaufte. Als ich das Samichlaus probierte, war es um mich geschehen.

Wie wählen Sie ein Bier für die weitere Lagerung aus?
Wenn das Bier pasteurisiert ist, lagere ich es nicht, mit Ausnahme von Rodenbach und Samichlaus. Normalerweise lagere ich Old Ales, Barley Wines, Russian Imperial Stouts, Lambics, Saisons und Bockbiere. Die meisten meiner Biere stammen aus den 1950er- und 1960er-Jahren, sodass
es ein Glücksspiel ist, zu sehen, wie gut sie gereift sind. Meine Sammlung besteht hauptsächlich aus Bieren mit historischer Bedeutung. Ich habe nur eine begrenzte Sammlung moderner Biere, da diese aufgrund der Modernisierung des Brauwesens und der Verwendung von Zusatzstoffen sehr empfindlich auf die Alterung reagieren. So ist zum Beispiel die künstliche Zuführung von Kohlenstoffdioxid der Reifung von Bieren abträglich. Alle Biere, die für die Lagerung bestimmt sind, müssen natürlich vergoren sein, wobei sich die Kohlensäure auf natürliche Weise durch Flaschengärung entwickelt.

© Ian Huntley

»Man darf nicht vergessen, dass ich Biere verkoste, die teilweise über 70 Jahre gereift sind, dabei aber keine Ahnung habe, wie das Geschmacksprofil des Biers zum Zeitpunkt seiner Herstellung war.«

Ian Huntley

Was ist der größte Schatz in Ihrem Bierkeller?
Ich habe viele Schätze in meiner Sammlung, zum Beispiel ein Barclay Perkins Russian Imperial Stout von 1935. Mein absolutes Lieblingsbier ist wahrscheinlich mein Vander Linden Brux Ale Gueuze Lambic aus dem Jahr 1958, das für die Weltausstellung im selben Jahr hergestellt wurde, um die Lambic-Braukunst zu präsentieren. Es ist extrem selten und möglicherweise das beste Bier, das je hergestellt wurde. Ich habe auch viele Lambic-Flaschen aus den 1950er-Jahren, die ich sehr schätze.

Wie kommt man an so alte und seltene Biere?
Ich habe die Biere durch Korrespondenz mit Brauereien, das Durchsuchen stillgelegter Gaststätten, großzügige Spender, die mir Biere für Forschungen überlassen haben, sowie durch reine Zufälle erhalten.

Haben Sie einen Lieblings-Vintage-Bierstil?
Mein Lieblingsstil wäre entweder Old Ale oder Kriek Lambic. Old Ales wie das Gale’s Prize Old Ale oder das Greene King Olde Suffolk English Ale sind traditionell mit Brettanomyces-Hefe versetzt. Sie sind weinig und behalten ihren Charakter auch unter schlechten Lagerungsbedingungen. Old Ales sind wie Bettwanzen, sie können unter fast allen Umständen überleben. Krieks, die zwischen 1950 und 1970 geblendet wurden, enthalten traditionell die Lambic-Würzen einiger teurisierte Biere alle unterschiedliche Reifepunkte haben. Imperial Stouts, die in der Vergangenheit hergestellt wurden, konnten auch nach 40 Jahren Reifung getrunken werden, ohne dass sie oxidiert wären oder ihre grundlegenden Eigenschaften verloren hätten. Lambics neigen dazu, mit dem Alter milder zu werden, ähnlich wie Scotch. Fünf bis 15 Jahre behalten sie ihre adstringierenden Essigeigenschaften, nach etwa 30 Jahren erinnert der Geschmack an ein Old Ale. Bockbiere können viele Jahre lang gelagert werden, verlieren dabei aber oft ihre alkoholische Affinität und werden übermäßig süß. Die einzigen Biere, die für eine unbestimmte Zeit reifen können, sind Old Ales. Ihre Grundstruktur ist für eine lange Lagerung ausgelegt.

Nach welchen Kriterien bewerten Sie ein Vintage-Bier?
Die wichtigsten Kriterien für die Bewertung von Bieren sind ein offener Geist und ein sauberer Gaumen. Man darf nicht vergessen, dass ich Biere verkoste, die teilweise über 70 Jahre gereift sind, dabei aber keine Ahnung habe, wie das Geschmacksprofil des Biers zum Zeitpunkt seiner Herstellung war. Ich entwickle meine Analyse anhand von Literaturrecherchen und Vermutungen darüber, was eine Brauerei zu produzieren hoffte.

— Einige von Ian Huntleys größten Vintage-Schätzen —

Sie schreiben ein Buch über Vintage-Biere. Wie wird es aussehen?
Ich arbeite im Grunde schon seit 20 Jahren an diesem Buch. Es ist eine Lebensreise meiner Erfahrungen mit und Eindrücke von den größten Bieren der Geschichte. Es wird die Geschichte vieler untergegangener Biere dokumentieren und beschreiben, wie sie geschmeckt haben und wer sie hergestellt hat.

Warum sammeln Sie vornehmlich historische Biere?
Meine Erfahrung mit der Reifung von Bier hat mich gelehrt, die altmodische Braukunst wirklich zu respektieren. Ich finde es traurig, dass die Brauereien der Vergangenheit häufig vergessen sind und nur wenig Anerkennung erhalten. Ich habe das Gefühl, dass sich die gesamte Bierindustrie nur noch auf die neuen handwerklichen Kleinstbrauereien konzentriert, die sich auf moderne Wissenschaft stützen, anstatt die Braukunst als das zu betrachten, was sie ist: ein Akt der Natur, der manchmal zu guten und manchmal zu schlechten Ergebnissen führt. Jedes Bier, das vor der Pasteurisierung hergestellt wurde, war dem Willen der Natur unterworfen. Jede Charge hatte ein anderes Geschmacksprofil und war höchstwahrscheinlich mit einer fremden Hefe infiltriert. Das macht die Reifung und Verkostung historischer Biere zu einem echten Abenteuer. Die Pasteurisierung hat zum Wachstum der gesamten Branche beigetragen, aber sie hat die Kunst des Zufalls, die einen guten Brauer antreibt, geschmälert. Deshalb werden die Lambic-Brauer immer noch als die wahren Meister in der Welt des Bierbrauens verehrt.

Ian Huntley auf Instagram: @vintagebeercellar