Mit Muschicraft hat Sophie Tschannett ihr eigenes feministisches Craft-Bier auf den Markt gebracht.
Zuerst leicht süß und im Abgang frisch und herb, so beschreibt Sophie Tschannett das Pale Ale Muschicraft. Entwickelt hat die passionierte Biertrinkerin das Bier, weil sie es satthatte, dass bei gemeinsamen Lokalabenden mit ihrem Freund stets ihm das Bier aus der gemeinsamen Bestellung kredenzt wurde und ihr das andere Getränk. Das ging mitunter soweit, dass die beiden sogar Wetten abschlossen, wer denn diesmal was bekommen würde. Mit Muschicraft will die Wienerin nun zeigen, dass Biertrinken eben nicht nur Männersache ist, wie es ein Klischee behauptet, dass sich gerade in Werbung und Markenauftritt so mancher Brauerei hartnäckig hält.
Unter dem Motto »Feminismus ist unser aller Bier« hat die Ottakringerin mit Muschicraft nun also ihr eigenes Craft-Bier auf den Markt gebracht. Ganz bewusst und absichtlich kein typisches Frauenprodukt – Muschicraft soll ein Bier für alle Geschlechtsidentitäten sein, so Tschannett: »Es war für mich wenig überraschend, dass die Reaktionen und das Feedback auf das Muschicraft-Bier sehr kontrovers waren. Ich musste mich bereits mit unterschiedlichsten Kritiken auseinandersetzen. Teilweise sehr berechtigt, teilweise für mich gar nicht nachvollziehbar. Es wurden etwa Stimmen laut, dass ich den Feminismus kapitalistisch ausnutzen würde, weil ich mein Geld mit einem feministischen Anliegen bzw. Produkt verdiene. Manche sorgten sich, dass Muschicraft bzw. Muschikraft eventuell TERF, also Trans-ausschließend radikal feministisch, sein könnte. Diese Kritiken halfen mir dabei, mein Profil klarer abzustecken. Denn es ist absolut nicht in meinem Interesse, Feminismus kapitalistisch auszunutzen. Und ich distanziere mich ganz deutlich davon eine Trans-ausschließende radikale Feministin zu sein – sowohl als Person wie auch mit Muschikraft als Marke.«
Der ungewöhnliche Name hat seinen Ursprung in einem Gespräch mit einer Freundin, das bereits vor einiger Zeit stattfand: Diese berichtete von Sexismus am Arbeitsplatz und davon, wie sie sich dagegen gewehrt hat. Tschannett erwiderte damals: »Das ist, weil du halt die ur Muschikraft hast.« Der Begriff sei hängengeblieben und Muschikraft nun so etwas wie die Dachmarke ihrer Aktivitäten. Etwa ihrer Malerei – mit einem Fokus auf nackte Frauen und eben Vulven. Farbenfroh, humorvoll und durchaus direkt. Und weil klar ist, dass viele Lebensbereiche mehr »Muschikraft« vertragen können, hat sie sich nun mit ihrem Bier einem weiteren angenommen. Das hat nicht nur mit der eigenen Vorliebe für das Getränk zu tun, sondern auch damit, dass Bier prinzipiell konsensfähig ist und als Produkt gut ankommt. Und wieso nicht die eigenen Anliegen und Zugänge über ein beliebtes Produkt transportieren und vermitteln? Bier ist da wohl nur der Anfang.
»Ich musste mich bereits mit unterschiedlichsten Kritiken auseinandersetzen. Teilweise sehr berechtigt, teilweise für mich gar nicht nachvollziehbar.«
Sophie Tschannett, Muschicraft
Gebraut in Ottakring
Im März 2022 wagte Sophie Tschannett den Schritt in die Selbstständigkeit und fand in der Ottakringer Braumanufaktur Schalken eine verlässliche PartnerIn, um ihr Craft-Bier zu brauen und abzufüllen. Bei der Auswahl ihrer GeschäftspartnerInnen sei es ihr wichtig, so die Jungunternehmerin, dass mindestens eine Frau entscheidend involviert ist. Und das sei, wie sie nach einigen Recherchen gemerkt habe, bei Brauereien immer noch recht selten der Fall. Aktuell ist Muschicraft in verschiedenen Lokalen in Wien erhältlich, beim digitalen Bauernmarkt Markta, im Onlineshop Flink und im Vulva Shop, einem feministischen Conceptstore. Sowie demnächst auch Wien, Graz und Salzburg bei Billa Corso. Zudem soll Muschicraft bald über einen eigenen Webshop vertrieben werden.
Gebraut wird das Bier aus Wiener Hochquellwasser, Malz aus Wien und Hopfen aus dem deutschen Anbaugebiet Hallertau. Muschicraft ist außerdem ein Bier für den guten Zweck, denn zehn Cent pro verkaufter Flasche werden an den Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser gespendet. Tschannett war als Sozialarbeiterin tätig und so immer wieder mit von Gewalt betroffenen Frauen in Kontakt: »Ich war davon total überfordert, ohnmächtig, aber auch wütend und wollte etwas dagegen tun. Das war der Anstoß für meine feministische Reise.« Bevor sie die Idee zu Muschicraft umsetzte, war eben das Zeichnen ihr Weg für feministischen Protest: Sie brachte Sticker mit bunten Vulven in Umlauf. Und natürlich ist auch auf dem Etikett von Muschicraft eine gezeichnete Vulva zu sehen.
Gegenwind bis zum Werberat
Es ist nicht ganz überraschend, dass die Idee aufgeht und das Bier Aufmerksamkeit bekommt. Wegen des ausdrucksstarken Namens und des Designs – und weil es einfach gutes Bier ist. Aber es gibt natürlich auch Gegenstimmen: »Wenig nachvollziehbar war für mich die Beschwerde beim Werberat, dass sich die beschwerdeführende Person von Muschikraft bzw. Muschicraft im Alltag belästigt fühlt. Auch mit Kommentaren wie etwa, dass das Bier obszön sei, die Jugend versauen würde, sexistisch bzw. männerfeindlich sei, tue ich mir ehrlich schwer. Nichts davon sehe ich durch Muschicraft erfüllt. Ganz im Gegenteil: Es geht um ein Aufbrechen von Stereotypen und Klischees, um das Enttabuisieren von Geschlechtsmerkmalen wie Vulven und um das Empowerment von diversen Geschlechtsidentitäten«, erläutert Tschannett.
Ideen und Impulse
»Es ist ein Erfolg, dass unterschiedlichste Personen mit unterschiedlichsten Haltungen sich über Geschlechteridentität, Vulven, Feminismus, Patriarchat und vieles mehr Gedanken gemacht haben.«
Sophie Tschannett, Muschicraft
Die teilweise doch recht starken Reaktionen zeugen aber auch davon, welche Kraft hier drinsteckt: »Ganz generell durfte ich feststellen, dass dieser kontroverse Diskurs über Muschicraft einen sehr positiven Impact hatte. Zum einen musste ich das Profil nachschärfen und durfte dadurch – beruflich wie privat – sehr viel dazulernen. Zum anderen entstand Reibung. Und die sorgte dafür, dass zahlreiche Medien über Muschicraft berichteten.« Sophie Tschannett weiter: »Abschließend möchte ich noch festhalten, dass es für mich ganz persönlich ein Erfolg ist, dass unterschiedlichste Personen mit unterschiedlichsten Haltungen sich über Geschlechteridentität, Vulven, Feminismus, Patriarchat und vieles mehr Gedanken gemacht haben, denn darum soll es letztlich gehen. Zudem motiviert es mich, genau so weiterzumachen, weil durch einige dieser Bemerkungen sichtbar wurde, wo wir uns in dieser Diskussion befinden: nämlich (teilweise) im Mittelalter.«
Ganz allgemein beobachtet Tschannett eine gewisse Müdigkeit: »Ich vermute, dass wir uns teilweise in Kreisen bewegen, in denen es so scheint, als wären wir als Gesellschaft schon weiter und als wären Ideen wie Social Entrepreneurship, also die Verbindung von gesellschaftlichen Anliegen mit einer Finanzierung über den Markt, erfolgreich etabliert. Aber ich fürchte, es gibt viel weniger von derlei Initiativen, als es manchmal scheint.« Vielleicht kommen der einen oder dem anderen ja bei einer Flasche Muschicraft Idee und Impuls, etwas verändern und sich engagieren zu wollen.