Die Stimme der Biertrinkerinnen

Eine Biervereinigung auf dem GBBF 2017.

Europäische BierkonsumentInnenvereinigungen setzen sich seit fast 60 Jahren durchaus
erfolgreich für die Interessen der Bierfans ein – vor allem für Vielfalt und Transparenz.

Es war der Abend des 6. Dezember 1963, als sich sieben verärgerte BierliebhaberInnen im Pub
The Rising Sun in der Londoner Vorstadt Epsom zusammenfanden, um den Lauf der Dinge in der
Bierindustrie zu ändern. Sie beanstandeten eine rapide zunehmende Verschlechterung von
Qualität und Geschmack ihres Lieblingsgetränks. Die Ursache dafür sahen sie in der
zunehmenden Verwendung von Zapf- beziehungsweise Ausschankgasen in der Gastronomie
sowie in der Einführung von Edelstahlfässern, den sogenannten Kegs, die damals gerade in der
Bierindustrie Einzug hielten. Um ihrem Unmut mehr Gehör zu verschaffen, gründeten sie an jenem
Nikolausabend 1963 die Society for the Preservation of Beers from the Wood, kurz SPBW. Die
erste BierkonsumentInnenvereinigung der Welt war geboren.

Scheinbeerdigungen

Die noch heute aktive KonsumentInnenvereinigung mit dem sperrigen Namen – der übrigens
daher rührt, dass 1963 gezapftes Bier noch fast ausschließlich aus Holzfässern kam – führte in
den 1960er-Jahren einige kleinere medienwirksame Kampagnen durch, in denen sie bestimmte
Modernisierungsprozesse in den großen Brauereien und Gaststätten anprangerte und auf die
damit verbundenen negativen Auswirkungen für KonsumentInnen hinwies. So wurden
beispielsweise Scheinbeerdigungen vor Pubs abgehalten, die sich mit Kegs
beliefern ließen. Durch die mediale Berichterstattung erreichte die SPBW einen größeren
Bekanntheitsgrad in der britischen Bevölkerung und konnte Ende der 1960er bereits etwa
40 Sektionen und mehrere Tausend Mitglieder vorweisen.
Die SPBW blieb indes nicht lange allein. 1971 gründeten vier Freunde aus England im Rahmen
einer Bierreise an die Westküste Irlands im beschaulichen Dunquin mit der
Campaign for Real Ale (CAMRA) die zweitälteste und mit über 190.000 Mitgliedern heute
weltgrößte nationale BierkonsumentInnenvereinigung der Welt. Die Ziele von CAMRA ähnelten
von Anfang an jenen der SPBW: die Erhaltung der britischen Biervielfalt und Pubkultur sowie die
Ablehnung des Einsatzes von Gasen bei Schankanlagen. Während die SPBW aber vor allem auf
Einzelaktionen der jeweiligen Sektionen setzte, war CAMRA von Anfang an um einheitliches
Auftreten und nationale Wirksamkeit bemüht.

Biertrinkerinnen auf dem NWAF 2016.
©Krzysztof_Kaplon

Keine Selbstverständlichkeit

Auch in anderen europäischen Ländern fanden in den folgenden Jahren BierliebhaberInnen
zusammen, um der sich ausbreitenden Konsolidierung und Vereinheitlichung in der Bierindustrie
sowie einer erweiterten Besteuerung von Bier seitens der Staaten entgegenzutreten und den
KonsumentInnen eine Stimme zu geben.
Nun mag die Existenz einer VerbraucherInnenorganisation in der Bierindustrie zunächst ganz
selbstverständlich anmuten, gibt es sie doch in vielen Wirtschaftsbereichen. Allerdings gab es bis
vor wenigen Jahren in vielen Ländern dieser Welt eben keine solche Interessensvertretung der
BierkonsumentInnen. Teilweise gibt es sie heute noch nicht. So existiert beispielsweise in den
USA, dem großen Wegbereiter der weltweiten Craft-Bier-Bewegung mit einem riesigen
Absatzmarkt, bis heute keine BierkonsumentInnenvereinigung.

Ein Poster der Campaign for Real Ale, einer internationalen BierkonsumentInnenvereinigung.
— Die Weitergabe und Pflege von Bierwissen sehen die Verbände als eine ihrer Kernaufgaben. — ©Camra

Europäischer Dachverband

Auch der Verein Bier IG Österreich ist seit seinem Gründungsjahr 2002 Mitglied in der
EBCU. Insgesamt vertritt die EBCU mittlerweile die Interessen von etwa 210.000 Bierkonsument-
Innen aus ganz Europa.

Da sich die Ziele der einzelnen Vereinigungen ähnelten und zudem immer mehr national bindende
Beschlüsse auf europäischer Ebene gefasst wurden, gründeten drei der Organisationen –
CAMRA, Objectieve Bierproevers (Belgien; heute: Zythos) und PINT (Niederlande) – 1990 in
Brüssel mit der European Beer Consumers Union (EBCU) einen europäischen Dachverband.
Dieser sollte die Mitglieder zum einen besser untereinander vernetzen und zum anderen ihren
Forderungen auch auf europäischer Ebene
Gewicht verleihen.
Mittlerweile sind 18 nationale
BierkonsumentInnenvereinigungen in der EBCU zusammengeschlossen. Neben den
Gründungsorganisationen aus Großbritannien, Belgien und den Niederlanden sind dort Norwegen,
Schweden, Finnland, Irland, Dänemark, Spanien, Frankreich, Italien, Tschechien, die Schweiz,
Polen und Deutschland vertreten. Auch die österreichischen BierkonsumentInnen haben eine
Stimme im Dachverband. Der Verein Bier IG Österreich ist seit seinem Gründungsjahr 2002
Mitglied in der EBCU. Insgesamt vertritt die EBCU mittlerweile die Interessen von etwa 210.000
BierkonsumentInnen aus ganz Europa.

So kämpft die EBCU zum Beispiel seit Jahren für eine vollständige Transparenz aller
kommerziell in Europa erhältlichen Biere in Bezug auf Inhaltsstoffe, Nährwertangaben und den
genauen Herstellungsort.

Im Jahr 2008 unterzeichneten die Mitgliedsorganisationen der EBCU eine Satzung, in der die
Rolle traditioneller Biere als wesentlicher Bestandteil der europäischen Kultur, Geschichte und des
täglichen Lebens festgelegt und die formalen Ziele und die Struktur der Organisation definiert
werden. Demnach setzt sich die EBCU für einen verantwortungsvollen Bierkonsum ein und auf
europäischer Ebene dafür, die Vielfalt der traditionellen europäischen Bierkulturen zu bewahren
und zu pflegen, wobei ein besonderes Augenmerk auf lokale, regionale und nationale
Brautraditionen und Bierstile gelegt wird. Des Weiteren sollen die VerbraucherInnen vor unfairen
Preisen geschützt werden, indem die EBCU gegen unangemessene Besteuerung oder
ausbeuterische Geschäftspraktiken angeht. Und schließlich drängt die EBCU darauf, dass die
VerbraucherInnen ausführliche und sachliche Informationen über jedes im Handel erhältliche Bier
erhalten. Um diese Ziele zu erreichen, betreibt der Verein Lobbyarbeit, schaltet Werbung,
publiziert Artikel und führt Kampagnen.
So kämpft die EBCU zum Beispiel seit Jahren für eine vollständige Transparenz aller kommerziell
in Europa erhältlichen Biere in Bezug auf Inhaltsstoffe, Nährwertangaben und den genauen
Herstellungsort. 2015 hängten Mitglieder der EBCU in der Brüsseler Zentrale der Brewers of
Europe, der europäischen Dachorganisation der nationalen Brauereiverbände, Plakate auf, die
genau diese Offenheit forderten. Der Brauereidachverband zeigte sich wenig erfreut über diese
Forderung und lehnte weitere Kennzeichnungspflichten auf den Bieretiketten lange Zeit ab.
Doch hier zeigte sich der zunehmende Einfluss der organisierten VerbraucherInnen: Die
Brauereien konnten die Forderung ihrer Kundschaft nach mehr Transparenz nicht ewig ignorieren.
2018 lenkte der Dachverband ein und brachte eine Selbstverpflichtung für alle seine Mitglieder auf
den Weg, die die genauere Kennzeichnung aller in Europa erhältlichen Dosen– und Flaschenbiere
ab 2022 vorsieht und viele Forderungen der EBCU aufgenommen hat. Zwar geht dieser die
Verpflichtung in einzelnen Punkten noch nicht weit genug, aber dennoch kann hier von einem
Erfolg gesprochen werden, den die EBCU zugunsten aller BierkonsumentInnen in Europa erzielt
hat.

Internationale Vernetzung

Auf vielen der Events von BierkonsumentInnenvereinigungen finden Bierverkostungen und -bewertungen statt.
— Bierverkostungen und -bewertungen finden auf vielen Events statt. — ©Camra

Zweimal im Jahr treffen sich die Delegierten der nationalen KonsumentInnenverbände aus ganz
Europa, um aktuelle Themen zu besprechen und das bestehende Netzwerk zu erweitern. Genau
diese internationale Vernetzung ist auch der größte Vorteil für die Mitglieder der nationalen
Organisationen. Es werden nämlich nicht nur auf europäischer Ebene Kampagnen geplant und
KonsumentInnenrechte vorangetrieben. Mitglieder der
EBCU erhalten Rabatte bei Veranstaltungen aller PartnerInnenorganisationen, können im Rahmen
von Bierfestivals und Bierwettbewerben hinter den Kulissen dabei sein und sich als offizielle Bier-
JurorInnen für die EBCU akkreditieren lassen.
Überdies führt der internationale Austausch zu einem erweiterten Verständnis verschiedener
(Bier-)Kulturen sowie neuen Bekannt- und Freundschaften. Bier bringt Menschen seit jeher
zusammen und so manch ein gutes Gespräch fängt bei einem gemeinsamen Bier an, über das es
sich zu reden lohnt. Damit das auch weiterhin so bleibt und die BierkonsumentInnen ihr Recht
wahrnehmen, ihre Wünsche und Bedürfnisse an Brauindustrie und Staat heranzutragen, sind
BierkonsumentInnenvereinigungen unabdingbar. Je mehr KonsumentInnen sich dabei
einbringen, desto mehr fällt ihre
Stimme bei zukünftigen Entscheidungsprozessen im Spannungsfeld zwischen Industrie, Staat und
KonsumentInnen ins Gewicht.