Die Krise als Katalysator

Evelyn Bäck und Gwaël Gauthier die HopfenspinnerInnen.

Dass die Gastronomie in den letzten Monaten geschlossen bleiben musste, hat die Brauereien hart getroffen. Nicht wenige haben die Zeit genützt, um sich neu aufzustellen.

»Den Shop ohne neue Perspektive zu schließen, hätte mehr geschmerzt, mit dem
Neubeginn in der alten Mühle gab es die Aussicht auf ein schöneres, größeres Projekt.«

Evelyn Bäck, Hopfenspinnerei

Die Umbauarbeiten sind in vollem Gange: Eine Waldviertler Mühle aus dem 14. Jahrhundert soll
zur neuen Heimat der Hopfenspinnerei werden. Anfang Mai dieses Jahres wurden die letzten
Hopfenvorräte in den gemieteten Räumen im Schloss Walpersdorf bei Sankt Pölten aufgebraucht
und der letzte Sud wurde eingebraut. Nun zieht die kleine Kreativbrauerei knappe 90 Kilometer
Richtung Norden, nach Waidhofen an der Thaya. Bierbrauen und Wohnen, Braukurse, Workshops
und ein Verkaufsraum – das alles soll hier in der alten Mühle samt Maschinenraum, Magazin und
Garagen sowie in der ehemaligen Schwarzbäckerei Platz finden.
Es ist ein großes Projekt, das sich Evelyn Bäck und ihr Partner Gwaël Gauthier vorgenommen
haben. Und eines, das ohne die Corona-Pandemie gar nicht erst ins Rollen gekommen wäre. »Die
Krise war ein Katalysator dafür«, sagt Bäck. 2017 gründete die ehemalige Journalistin und
Hobbybrauerin die Hopfenspinnerei als Einfrauunternehmen; nur ein Jahr später gewann ihr
Lavendel-Limetten-Ale namens Georg Ludwig einen Staatsmeistertitel. Umzugspläne habe es
schon länger gegeben, denn aus den gemieteten Räumlichkeiten ist die Hopfenspinnerei mit ihren
handwerklich hergestellten und mehrfach ausgezeichneten Bieren rasch herausgewachsen. Doch
der richtige Zeitpunkt war noch nicht da. »Im ersten Lockdown hat sich abgezeichnet, dass vieles
eine ganze Zeit stillstehen wird. Da haben wir uns gesagt: Genau jetzt ist die beste Chance, ein
großes Projekt wie eine Sanierung und einen Umzug durchzuziehen.« Und noch im März letzten
Jahres machten sich die beiden auf die Suche nach einer passenden Immobilie.

Die historischen Walzenstühle in der alten Mühle, in der bald gebraut wird.
— Die historischen Walzenstühle in der alten Mühle, in der bald gebraut wird. — ©Hopfenspinnerei

Einfach war das vergangene Jahr nicht. »Vor dem ersten Lockdown waren unsere Lager bis oben
hin voll – für das Frühjahr waren ja Veranstaltungen geplant«, erzählt Bäck. Ein paar Tanks Bier
sind sogar im Kanal gelandet. Bitter sei auch die Schließung des Shops in Sankt Pölten gewesen.
Nur zwei Monate konnte der gerade erst bezogene Standort in der Fußgängerzone so genutzt
werden, wie es geplant war – mit Ausschank und kleinen Veranstaltungen. »Als
Lebensmittelgeschäft hätten wir zwar geöffnet bleiben können, aber im ersten, strengen
Lockdown war fast niemand auf der Straße. Wir haben dann recht schnell beschlossen, das
Projekt zu begraben, weil uns völlig klar war, dass sich das nicht rechnen konnte.«
Und so wurden im August die Umzugskartons gepackt. »Den Shop ohne neue Perspektive zu
schließen, hätte mehr geschmerzt«, sagt die Brauerin rückblickend. Aber mit dem Neubeginn in
der alten Mühle habe es »die Aussicht auf ein schöneres, größeres Projekt« gegeben. Und den
Kopf in den Sand zu stecken, sei ohnehin nie eine Option gewesen.

— Evelyn Bäck am Braukessel. — ©Hopfenspinnerei

»Wir können den Wind nicht ändern …«

»Durch den Zeitpolster konnten wir unserer Kreativität freien Lauf lassen und ein
stimmiges Konzept erarbeiten.«

Gerhard Litzlbauer, Bräustübl Kaltenhausen
Direkt unter den markanten Barmsteinen liegt das Hofbräu Kaltenhausen.
— Direkt unter den markanten Barmsteinen liegt das Hofbräu Kaltenhausen. —©Hofbräu Kaltenhausen

Auch in der ältesten Brauerei Salzburgs, dem Hofbräu Kaltenhausen in Hallein, wurde die Zeit des
Stillstands genutzt. Das 1475 gegründete Hofbräu, das heute zur Brau Union gehört, liegt
zwischen schroffen Felsen und der Salzach – mit seiner Spezialitäten-Manufaktur, in der
Braumeister Martin Simion neue Bierkreationen entwickelt, und dem Bräustübl, in dem man diese
gleich genießen kann. Letzteres hat seit vergangenem Jahr einen neuen Pächter. Es sei genau der
richtige Zeitpunkt gewesen, erzählt Gerhard Litzlbauer: »Jede Krise bietet auch neue Chancen,
und die Corona-Krise hat mir die Möglichkeit und die Zeit gegeben, dieses große Projekt Stück für Stück
aufzubauen.« Ohne die Pandemie hätte er das Bräustübl wahrscheinlich nicht übernommen, so
der gelernte Koch, Braumeister und Biersommelier. Freude über den monatelangen Gastronomie-
Lockdown herrschte natürlich nicht, aber man habe versucht, das Beste daraus zu machen. Ganz
nach dem Motto »Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel neu setzen«, wie auf der
Facebook-Seite des Bräustübl zu lesen ist. Die Umbau- und Renovierungsarbeiten seien noch
größer ausgefallen als geplant – und das habe sich gelohnt: »Durch den Zeitpolster konnten wir
unserer Kreativität freien Lauf lassen und ein stimmiges Konzept erarbeiten.« Die Neueröffnung
fand mit 1. April zwar mitten im Lockdown statt, Take-away und Auslieferung würden aber bereits
gut angenommen, so Litzlbauer: »Die Besucher sind neugierig und man
spürt die Vorfreude.«
Nicht nur im Bräustübl, auch in der Spezialitäten-Manufaktur wurde in den letzten Monaten
einiges erneuert, erzählt Braumeister Simion. »Und wir starten mit einem neuen, spannenden Bier
in den Sommer, das es auch im Bräustübl geben wird.« Eingebraut wurde das »ungewöhnliche
Bier«, wie Simion es beschreibt, mit einem Rohstoff, der typisch für die Region ist: Salz. Die
Eröffnungsparty werde jedenfalls nachgeholt, ist sich das Team in Kaltenhausen einig.

Günther Hinterholzervon der Brau Union, Bräustübl-Wirt Gerhard Litzlbauer und Braumeister Martin Simion (v. l. n. r.).
— Günther Hinterholzervon der Brau Union, Bräustübl-Wirt Gerhard Litzlbauer und Braumeister Martin Simion (v. l. n. r.). — ©Hofbräu Kaltenhausen

Hamsternde HobbybrauerInnen

»Homeoffice und Homebrewing lassen sich gut kombinieren.«

Alexander Beinhauer, Mash Camp

Die geschlossene Gastronomie und Absagen von Konzerten und anderen Großveranstaltungen
wirkten sich auf den Bierabsatz besonders negativ aus. In der Krise büßten Österreichs
Brauereien durchschnittlich ein Fünftel ihres Umsatzes ein, hieß es im März seitens des
Brauereiverbandes. Insgesamt wurden 2020 in Österreich um rund 840.000 Hektoliter weniger
Fass- und Tankbier verkauft als im Jahr zuvor. Das entspricht rund 170 Millionen Krügerln und
bedeutet ein Minus von 46 Prozent. Das Geschäft verlagerte sich laut Brauereiverband stark in
Richtung Lebensmittelhandel, wo der Bierabsatz stieg.
In den eigenen vier Wänden wurde aber nicht nur Bier getrunken, sondern immer öfter auch selbst
gebraut. Heimbrauen habe durch Lockdowns und Homeoffice einen Boom erlebt, Ȋhnlich wie
das Brotbacken«, sagt Alexander Beinhauer, der zusammen mit Johannes Grohs, neben der
Brauerei Next Level Brewing und dem Beer Store Vienna mit Mash Camp auch einen Webshop für
Homebrew-Equipment betreibt. »Die Leute haben mehr Zeit zu Hause verbracht, und viele haben
statt in Urlaub in Hobbys investiert.«
Hobbys wie eben Bierbrauen: »Homeoffice und Homebrewing lassen sich gut kombinieren. Im
ersten Lockdown wurden unglaubliche Mengen an Zutaten zum Bierbrauen gehamstert. Was im
Supermarkt das Klopapier war, waren bei uns die 25-Kilogramm-Malzsäcke«, erzählt Beinhauer.
Im Webshop seien die Zugriffszahlen von einem Tag auf den anderen stark gestiegen. Das Lager
wurde seither vergrößert, ebenso das Sortiment von Mash Camp. Gleichzeitig mit den steigenden
Verkaufszahlen im Heimbrau-Webshop habe es aber einen starken Rückgang bei den KundInnen
im Beer Store gegeben. »Viele haben einfach nicht angenommen, dass wir im Lockdown geöffnet
haben«, so Beinhauer. Und auch der Vertrieb der eigenen Biere von Next Level Brewing sei wegen
der geschlossenen Gastronomie schwierig gewesen. »Durch den starken Fokus auf Mash Camp
und den Ausbau des Webshops für Heimbraubedarf konnten wir die Verluste aber
glücklicherweise wettmachen.«

Alexander Beinhauer und Johannes Grohs mit ihren Bierbrausets für zu Hause.
— Alexander Beinhauer und Johannes Grohs mit ihren Bierbrausets für zu Hause. — ©Mash Camp GmbH

»Die Zahlen sind in die Höhe geschossen«

»Die Zahlen sind so schnell in die Höhe geschossen, dass wir gar nicht darauf
vorbereitet waren. So stark wie in den ersten zwei Wochen war der Ansturm aber nie wieder.«

Josef Habich, Wimitzbräu

Dass sich von einem Tag auf den anderen alles ins Netz verlagerte, merkte auch Josef Habich,
Geschäftsführer des Wimitzbräu, einer der wenigen Brauereien in Österreich, die zu 100 Prozent
biologisch brauen. Sogar Gerste und Hopfen werden hier selbst angebaut. Und das Brauwasser
entspringt aus einer nur ein paar Hundert Meter von der Mikrobrauerei entfernten Quelle. Denn
nicht nur unbehandelt, auch unabhängig soll das Bier sein – das ist Habich wichtig. Eine
»glückliche Fügung« sei es gewesen, dass die 2011 gegründete Kärntner Biobrauerei nur drei
Monate vor dem ersten Lockdown einen Webshop eingerichtet hat. »Plötzlich war der
Schwerpunkt auf dieser Vertriebsschiene. Die Zahlen sind so schnell in die Höhe geschossen,
dass wir gar nicht darauf vorbereitet waren. So stark wie in den ersten zwei Wochen war der
Ansturm aber nie wieder«, erzählt Habich. Die Stimmung sei damals, im Frühling vergangenen
Jahres, eine ganz andere gewesen: »In den Medien und auf allen möglichen Plattformen war die
Parole: ›Wir schaffen das!‹ Die Leute sind zu Hause
geblieben und haben bewusst online, aber in der Region eingekauft.«
Mittlerweile haben sich die Verkaufszahlen im Onlinebereich stabilisiert und steigen stetig, so
Habich. Zu 95 Prozent seien die KundInnen im Webshop zudem neue KundInnen. »Wir stellen ein
Naturprodukt her – bio und ohne Stabilisierung. Unser Bier ist somit ständig frisch am Start, und
außerhalb Kärntens konnte man es bisher gar nicht erwerben.« Mithilfe des Webshops werden
Märzen, IPA und Bockbier aus dem abgelegenen Wimitztal nun in ganz Österreich – von
Vorarlberg bis
Wien – verkauft.

Seit zehn Jahren braut Josef Habich mit seinem Team im Kärntner Wimitztal naturbelassenes Bier.
— Seit zehn Jahren braut Josef Habich mit seinem Team im Kärntner Wimitztal naturbelassenes Bier. —©Elias Jerusalem

Bierverkostung im eigenen Wohnzimmer

»Am Anfang waren die Onlineverkostungen ›nur‹ ein guter Ersatz für ausgefallene
Präsentationen und Events während der ersten Wochen der Pandemie, mittlerweile sind sie
für uns ein wichtiges Marketingtool.«

Markus Betz, Beerlovers

Vieles ist in den Monaten der Pandemie ins Netz gewandert: Schulunterricht und Besprechungen
mit ArbeitskollegInnen genauso wie Freizeitaktivitäten – von der Yogastunde über Sprachkurse bis
zum abendlichen Plaudern bei einem Bier mit FreundInnen. Und auch Onlineverkostungen
boomen bei österreichischen Bierfans. Pionier und wohl auch Rekordhalter ist der Craft-Bier-
Händler Beerlovers, der in seinem Flagship-Store in Wien und im Onlineshop an die 1.500 Biere
aus über hundert österreichischen und internationalen Brauereien anbietet.
Schon seit über einem Jahr verkostet Beerlovers-Chef und Biersommelier Markus Betz jede
Woche Biere bekannter Brauereien und fachsimpelt mit per Videokonferenz zugeschalteten
Gästen darüber. Den Anfang machte im ersten Lockdown die international erfolgreiche Brauerei
Brew Dog aus Schottland. Mittels Facebook-Livestream kann jeder bequem im eigenen
Wohnzimmer zusehen, die zuvor bestellten Biere verkosten und über die Kommentarfunktion
mitdiskutieren. Zwischen 80 und 130 Gäste schauen laut Beerlovers jede Woche zu. Anfangs
seien die Onlineverkostungen »nur« ein guter Ersatz für
ausgefallene Präsentationen und Events gewesen, mittlerweile seien sie aber ein wichtiges
Marketingtool, sagt Betz. Und während zu den Beerlovers-Veranstaltungen vor der Pandemie
großteils WienerInnen kamen, beteiligten sich an den Onlineverkostungen »interessierte Bierfans
vom Bodensee bis zum Neusiedler See«. Das Format soll in Zukunft auf alle Fälle weitergeführt
werden, aber wahrscheinlich nicht mehr wöchentlich.

Vorfreude auf den Neubeginn

»Man sollte die Kompetenz der österreichischen BiertrinkerInnen
nicht unterschätzen. Da gibt es ganz viele, die sich mit großer Leidenschaft für Bier interessieren
und die große Biervielfalt, die es in Österreich gibt, schätzen.«

Josef Rieberer, Brauerei Murau
Acht österreichische Privatbrauereien bilden seit 2008 zusammen die Culturbrauer.
—Acht österreichische Privatbrauereien bilden seit 2008 zusammen die Culturbrauer.— ©Culturbrauer

Auch die Culturbrauer, ein Zusammenschluss von acht österreichischen Privatbrauereien, haben
im vergangenen Herbst begonnen, Onlineverkostungen zu veranstalten. »Nachdem klar war, dass
die Gastronomie im Winter geschlossen bleibt, wollten wir auf diesem Weg mit unserer
Community in Kontakt sein«, erzählt Josef Rieberer, Geschäftsführer der Brauerei Murau. Fünf
Verkostungen gab es bisher – »eine fantastische und kostengünstige Möglichkeit«, Bierfans in
Österreich, Deutschland und der Schweiz zu erreichen. Begeistert und überrascht ist Rieberer
vom großen Bierwissen der Teilnehmenden: »Man sollte die Kompetenz der österreichischen
BiertrinkerInnen nicht unterschätzen. Da gibt es ganz viele, die sich mit großer Leidenschaft für
Bier interessieren und die große Biervielfalt, die es in Österreich gibt, schätzen.« Für den Herbst
und den Winter kann sich Rieberer weitere Onlineverkostungen der Culturbrauer vorstellen, aber
über den Sommer wolle man
erst einmal »die geöffnete Gastronomie genießen«.
Im Sommer, spätestens im Herbst, soll dann auch der Braubetrieb der Hopfenspinnerei in der
historischen Mühle im Waldviertel starten. Das Risiko, das sie eingegangen ist, bereut Evelyn
Bäck trotz einiger schlafloser Nächte nicht: »Wenn man jedes
Risiko von sich fernhält, limitiert man sich.« Und jetzt, da das große Projekt in die Schlussphase
geht, überwiege die Vorfreude. Biertrinken habe viel mit Geselligkeit zu tun, so Bäck, »und die
BrauerInnen haben genauso wie die KundInnen lange gewartet, dass es endlich wieder losgehen
kann«.