Dörthe Woltermann wohnt als Deutsche in Irland. Sie arbeitet für ein großes internationales IT-Unternehmen in Dublin. Als sie 2010 dorthin gekommen ist, war das für sie als Bierliebhaberin gar nicht so einfach. Obwohl sie auch aus ihrer Heimat rund um Bremen keine große Vielfalt an Bierstilen gewohnt war, gab es dort doch eine größere Auswahl und insbesondere auch regionale Optionen neben den Marken der Großbrauereien. In Dublin – und auch auf der restlichen grünen Insel gab es vor acht Jahren praktisch keine Bierauswahl in Pubs. Allerorts gab es dieselben drei bis vier Biere zu kaufen: Das allgegenwärtige Schwarze und ein paar wässrige, industrielle US-Lager. „Eines davon war so labbrig, dass sich das Marketing mehr auf die Kälte als auf den Geschmack konzentrierte.“
Subkultur & Biertradition
Auch Seamus O’Hara, einer der beiden Gründer der Carlow Brewery, die mittlerweile auch schon über 20 Jahre die Craft-Bier-Szene mitgestaltet, sieht das ähnlich: „Irland hatte immer eine große Pub-Kultur, die sogar weltweit exportiert wurde. Neben dem Flagship Guinness hinkten die anderen Biere aber immer hinterher.“
Dabei hat Bier in Irland eine lange Tradition und Geschichte. Auf ihr weltweit bekanntes Guinness sind die Iren natürlich besonders stolz. Die frühesten Aufzeichnungen zu Bier datieren etwa 5000 Jahre zurück, ein Ale namens Coirn haben die Vorfahren auf der Insel damals getrunken. Der Nationalheilige Patrick soll in Person seines Freundes Mescan sogar einen eigenen Brauer gehabt haben. Nicht umsonst zählen die Iren mit ihrem Pro-Kopf-Konsum zu den weltweit stärksten Biertrinkern.
Aber uns dürstet es ja nach Qualität und nicht nach Quantität, daher weiter in der Timeline der irischen Craft-Bier-Evolution: 2010 war ein gutes Jahr für die Bierkultur in Irland, nennen wir es gar Meilenstein. Bis dahin gab es in Dublin kaum Pubs, die in ihrer Biervielfalt hervorzuheben gewesen wären. Es gab gerade ein Brew-Pub, wo noch im Haus gebraut wurde. Und dann noch Porterhouse, eigentlicher Vorreiter der Craft-Bier-Szene Irlands. Schon 1989 eröffneten Liam LaHart und Oliver Hughes ihr erstes Porterhouse in Dublin, damals schon sehr bekannt für ihre globale Bierauswahl mit einem starken Fokus auf Belgien.
Sieben Jahre später begannen sie in Temple Bar in einem weiteren Porterhouse selbst zu brauen. Viele hätten damals gewettet, dass sich das Pub nicht lange hält. Denn statt Guinness und Heineken wurden an der Parliament Street selbstgebraute Biere namens Weiserbuddy und Probably ausgeschenkt – was ihnen natürlich auch einige Anwaltsschreiben eingebracht hat. 2010 galt das Porterhouse also schon als Institution in der irischen Hauptstadt. Die Brauerei war zwar nicht mehr im Pub selbst angesiedelt, aber noch in Dublin, und die riesige Auswahl an Hausbieren und internationalen Optionen war eine erfrischende Abwechslung für irische
Bierliebhaber und Touristen
Dann ist Against the Grain auf der Bildfläche erschienen. Das erste Pub in Dublin, das die Biere der Galway Bay Brewery ausgeschenkt hat, und daneben auch andere Craft-Biere, meist aus Großbritannien und den USA. Zusätzlich gab es auch eine sorgfältig zusammengestellte Auswahl an Flaschenbieren aus der ganzen Welt, darunter auch deutsche. Dieses Pub war für viele Dubliner die erste Erfahrung mit Craft-Bier, und für andere, die schon in anderen Ländern Craft-Bier genossen hatten, eine Oase, zu der sie regelmäßig pilgerten. Einer der wichtigsten Aspekte des Erfolgs von Against the Grain waren die Bar-Tender selbst. Sie waren umfassend informiert über die einzelnen Biere und wirklich gut darin, neugierigen Besuchern auf Basis ihrer sonstigen Präferenzen ein neues Bier zu empfehlen. Ohne sie hätte das Konzept nicht funktioniert. Kein Wunder, dass einer von ihnen heute Co-Besitzer eines der besten Pubs in Dublin ist – aber dazu später mehr.
Ab dann ging es richtig los. Immer mehr Craft-Brauereien wurden gegründet und die ersten neuen irischen Biere fanden ihre erwartungsvollen Kunden. In Sachen Auswahl an Stilen haperte es am Anfang noch. Fast alle Brauereien fingen mit drei Bieren an: einem Stout, einem Pale Ale und einem Red Ale. Die irischen Bierfans waren schon froh, dass es endlich mal etwas Neues gab, aber je mehr Bier verkostet wurde, desto besser entwickelten sich auch die Gaumen – sie wollten bald mehr: IPAs, Saisons, Sauerbiere etc. Und dann wurde 2014 die White Hag Brewing Company gegründet. Anstatt mit den üblichen drei Bieren erschien diese Brauerei mit über zehn Bieren von einer unglaublichen Vielfalt und Qualität auf der Bildfläche. Ein neuer Standard war geboren und Mittelmäßigkeit ein für alle Mal vorbei.
Ausgezeichnete Biere aus Kinsale
Ein jüngeres Beispiel für eine irische Craft-Brauerei finden wir im Süden nahe Cork. 2013 gründete das Ehepaar Sam und Maudeline Black die Brauerei Blacks of Kinsale. Die beiden leben ihren Traum: mit vielfach prämierten Ales, Stouts und Lager sowie kleinen Batches an ausgewählten Spirituosen. Im irischen Gourmet-Hotspot Kinsale, im County Cork, liegen sie da goldrichtig. Erst im letzten Jahr ist Darren Murphy als Markenbotschafter zum Team von Blacks gestoßen. Zuvor war er zehn Jahre in der Wiener Biergastronomie tätig und absolvierte die Ausbildung zum Biersommelier. Besonders stolz ist er nun auf ihre Flagshipbrand KPA (Kinsale Pale Ale). Beim renommierten Dublin Craft Beer Cup hat es 2018 wieder die Goldmedaille gewonnen.
Interessant ist übrigens auch die steuerliche Begünstigung für Micro-Breweries in Irland: Um die 50-prozentige Ermäßigung der Alkoholsteuer in Anspruch nehmen zu können, muss der Gesamtausstoß unter sieben Millionen Pints pro Jahr liegen, was etwa 40.000 Hektoliter Bier entspricht. Diese Regelung gilt übrigens auch für alle Brauereien innerhalb der Europäischen Union, deren Biere nach Irland importiert werden.
Die Szene wächst schnell
Heute gibt es in der Republik Irland etwa 60 Craft-Brauereien. Fast jedes County hat mindestens eine, wenn nicht mehrere. In allen größeren Städten und auch in manchen kleineren gibt es Craft-Bier-Pubs. In Dublin gibt es mittlerweile so viele, dass es schwierig ist, den Überblick zu behalten. Im letzten Herbst hat Seamus O’Hara mit Urban Brewing in Dublin auch ein großartiges neues Brew-Pub eröffnet. Neben seinen O’Hara’s-Bieren aus der Carlow Brewery setzt man am trendigen IFSC-Gelände, wo auch Google und Facebook ihre Niederlassungen haben, auf die Inhouse-Biere.
Auch Collaboration-Brews mit anderen Brauern, sowie Tastings und Biertouren gibt es in dem jungen Lokal. Die Hausbrauerei testet hier auch kleinere Batches neuer Kreativsorten, bevor sie im Stammhaus in Carlow auf den großen Anlagen laufen. Die dortige Brauerei wird 2018 übrigens schon 22 Jahre alt, man zählt zu den Urgesteinen der irischen Craft-Brewer-Szene. „Die Hälfte des Ausstoßes geht bereits in den Export“, erklärt Seamus O’Hara in einem Interview mit der Irish Times. „Und die stärkste Marke ist für uns Iren dabei auch das Stout.“
Fokus auf Qualität und Auswahl
Als bestes Craft-Bier-Pub in Dublin bezeichnet Dörthe Woltermann übrigens das Underdog. Es hat auch 2017 eröffnet und war von Beginn an ein Erfolg. Die Besitzer sind Pioniere der irischen Craft-Bier-Szene. Von Anfang an haben sie in verschiedenen Pubs gearbeitet und wussten genau was fehlt: ein unabhängiges Pub, das nicht die Interessen von nur einer Brauerei vertritt, sondern einfach nur exzellentes Bier ausschenkt; wo die Bar-Tender wissen, wovon sie reden, wo das Bier schnell rotiert und wo immer die besten neuen Biere zu finden sind; wo der Fokus nicht auf der Einrichtung oder einem Image liegt, sondern einfach nur auf Qualität und Auswahl.
Der Standard und die Qualität der Biere sind im Vergleich zu 2010 nicht wieder zu erkennen. Die besten irischen Brauereien können heutzutage mit den Großen aus den USA und Großbritannien mithalten. Es gibt Biere von Weltklasse, die auch international dank des langsam anwachsenden Exports Anerkennung finden.
Endlich wurde in diesem Jahr auch die Gesetzeslage geändert und Brauereien können wieder vor Ort ausschenken. Dies war bis dahin verboten und hatte den Zugang zu einer wichtigen Einnahmequelle für die Brauereien und einem großartigen Angebot für Touristen versperrt.
Es hat sich in den letzten acht Jahren viel in der irischen Bierszene getan. „Die Zahl der Micro-Breweries ist gewaltig angestiegen, trotzdem sprechen wir beim Bierabsatz erst von einem Craft-Bier-Anteil von etwa 3 bis 4 % in Irland“, so Seamus O’Hara. Das sind immerhin etwa 150.000 Hektoliter von gutem, charakter- und geschmackvollem Bier, das mit Innovation und Persönlichkeit weiter um Marktanteile gegen die großen internationalen Konzernbiere kämpft. Und auch Dörthe Woltermann freut sich: Sie bietet immer wieder Craft-Bier-Touren durch Dublin an und sieht der weiteren Entwicklung mit Durst und Freude entgegen. Onwards and upwards!
Die Geschichte erschien in der Ausgabe 9 – Frühling/Sommer 2018 des 1515 Craft Bier Magazin.
Der Text entstand in einer Zusammenarbeit der beiden Autoren Dörthe Woltermann und Micky Klemsch.