Der Mount Everest der Bierwettbewerbe

Der Bierblogger Martin Voigt mit seinem Video-Equipment.

Interview mit Martin Voigt von proBier.tv über den Stellenwert von Bier-Wettbewerben und Auszeichnungen innerhalb der Community sowie deren Informationswert für die VerbraucherInnen.

Bierfans können sich heutzutage über eine große Vielfalt an traditionellen und neuen Bierstilen sowie eine schier unendliche Auswahl an Bieren freuen. Einige Organisationen haben es sich zur Aufgabe gemacht, richtig gutes Bier innerhalb von Verkostungswettbewerben auszuzeichnen. Der Fokus liegt dabei auf der Sensorik der eingereichten Biere, fernab von analytischen Laborwerten. Laiinnen und Laien kann das große Spektrum an unterschiedlichen Wettbewerben und Auszeichnungen aber durchaus überfordern. Martin Voigt, Diplom Biersommelier und Bierblogger bei proBier.tv, saß selbst schon mehrmals in der Jury solcher Wettbewerbe. Hier gibt er uns einen kleinen Einblick in diese Welt.

 

Welche internationalen und nationalen Auszeichnungen für Brauereien und ihre Biere genießen hierzulande das höchste Ansehen?

Auf europäischer Ebene ist es sicherlich der European Beer Star, der gewissermaßen auch als Reaktion auf die großen internationalen Wettbewerbe aus den USA entstanden ist. Lange konnte man dem World Beer Cup, dem »Mount Everest der Bier-Wettbewerbe«, in Europa nichts entgegensetzen. Die europäischen BrauerInnen hatten aber gewissermaßen den Anspruch, als Heimat der klassischen Bierkultur angesehen zu werden, woraus der European Beer Star resultierte. Dieser Wettbewerb ist zwar immer noch ein bisschen kleiner, aber genießt mittlerweile ein gleichwertiges Ansehen. Es werden zwar überwiegend europäische Bierstile eingereicht, es können sich aber Brauereien aus der ganzen Welt beteiligen. Diese beiden großen, internationalen Wettbewerbe sind wohl die beiden wichtigsten. Die Austrian Beer Challenge ist dagegen ein rein österreichischer Wettbewerb, wodurch der Wettbewerb und sein Wachstumspotenzial im Grunde limitiert sind.

Grundsätzlich gibt es eine Vielzahl von internationalen Wettbewerben
wie die World Beer Championships oder die World Beer Challenge, die sich ja selbst als die Oscars der BrauerInnen bezeichnen …

Wie bei vielen Wettbewerben ist es am Ende des Tages auch ein Business, mit dem man Geld verdienen kann. Weltweit gibt es etwa fünf oder sechs Boxverbände, die alle ihren Weltmeister küren. In gewisser Weise ist das mit Bierwettbewerben vergleichbar, bei denen unterschiedliche VeranstalterInnen ihre Sieger küren. Am Ende des Tages setzt sich der Wettbewerb durch, der in der Publikums- oder Marktwahrnehmung der größte ist. In vielen Ländern finden auch dezentral organisierte internationale Wettbewerbe statt. Die Brussels Beer Challenge ist hier hervorzuheben. Das sind also wohl die Top drei: die Brussels Beer Challenge, der European Beer Star und der World Beer Cup.

Welchen Stellenwert haben solche Preise innerhalb der Community?

Ich habe mal eine Brauerei, die beim European Beer Star einen Goldpreis gewonnen hat, gefragt, ob sich das Wochen nach der Verleihung bei ihrem Bierabsatz bemerkbar macht. Es scheinen sich durchaus kurzfristige Effekte einzustellen, da manche Bierhändler anlässlich der Wettbewerbe Bierboxen mit prämierten Siegerbieren zusammenstellen. Langfristig dienen diese Preise rein der Imagepflege für die Brauereien. Konsumentinnen und Konsumenten rennen Brauereien also nicht drei Jahre lang die Bude ein, weil sie den European Beer Star oder einen vergleichbaren Preis gewonnen haben.

Würdest du also sagen, dass diese Preise in erster Linie den Marketingzwecken der Brauereien dienen und nicht per se dazu dienen, die Qualität der Biere zu
verbessern?

Naja, es zeigt einfach, dass eine Brauerei super Biere braut. Natürlich gewinnt am Ende des Tages eine Brauerei eine Medaille für ein bestimmtes Bier. Langfristig dient das eher der Reputation von Brauereien, die über mehrere Jahre konstant Medaillen und Auszeichnungen bei wichtigen Wettbewerben gewinnen. Für welche Biere die Preise verliehen wurden, verschwimmt über die Zeit ein bisschen. Wer kein Weißbier mag, der wird sich auch kein Weißbier kaufen, nur weil es das Siegerbier ist. Schlussendlich geht es eher darum, dass die Brauereien bestätigen können, dass sie qualitative Produkte liefern. Man sucht nicht das weltbeste Bier, um es dann entsprechend zu vermarkten. Ich glaube, das ist auch nicht die Intention der Brauereien.

Haben sich diese Wettbewerbe in deiner Wahrnehmung über die Jahre verändert?

Ich kann selbst nur eine kurze Zeit betrachten, da ich erst das fünfte Jahr
als Juror unterwegs bin. Es ist allerdings schon wahrnehmbar, dass es neue Wettbewerbe gibt, die das Interesse der Brauereien wecken wollen, in dem sie nicht nur eine Medaille pro Bierstil verleihen. Meininger’s International Craft Beer Award in Deutschland ist ein gutes Beispiel für diese Tendenz. Hier gibt es ein ganz anderes System. Die meisten Wettbewerbe funktionieren nach dem
olympischen Bewertungsprinzip und verleihen Gold, Silber und Bronze. Beim Meininger-Award wird jedes Bier individuell bewertet, da kann es vorkommen, dass in einer Kategorie fünf Biere Gold verliehen bekommen, da sie eine bestimmte Punktzahl erreicht haben. Nach solchen Wettbewerben setzt oft eine Social-Media-Flut ein, bei der jede Brauerei ihre persönlichen Errungenschaften feiert. Dieser Ansatz kann eine Teilnahme für Brauereien attraktiv machen, da hier nicht nur drei Preise vergeben, sondern in erster Linie Qualitätsstandards bewertet werden. Dabei werden Wettbewerbe am Markt etabliert, die das eigene Geschäft mit den wirtschaftlichen Interessen der Brauereien verbinden.

Kannst du auch Trends feststellen, welche Eigenschaften ein prämiertes Bier ausmachen?

Es geht grundsätzlich nicht darum, das verrückteste Bier auszuzeichnen oder den persönlichen Geschmack der Jurorinnen und Juroren zu treffen – was im Allgemeinen aber auch den Anspruch dieser Wettbewerbe erhöht, weil die subjektiven Eindrücke zurückgedrängt werden. Sondern es gibt klare Vorgaben, wie etwa ein Pilsbier hergestellt wird, welche Farbe es haben muss, wie der Schaum sein soll oder wie es zu riechen hat. Grundsätzlich kann jeder Wettbewerb seine Richtlinien selbst festsetzen, Vorgaben wie die BJCP-Style-Guidelines haben sich aber durchgesetzt. Das US-amerikanische Ausbildungsprogramm BJCP hat schon sehr früh ein ziemlich umfangreiches Werk erstellt, in dem die Eigenschaften der jeweiligen Bierstile genau beschrieben sind.

Schränkt das nicht auch ein wenig die Innovationskraft im Bierbereich ein?

Viele Wettbewerbe wollen diese nicht direkt abbilden. Es gibt aber immer wieder Bierstile, die sich entwickeln, wie zuletzt etwa das New England IPA. Es hat sechs bis sieben Jahre nach der ersten Spürbarkeit am Markt gedauert, bis das New England IPA als Kategorie in die BJCP-Guidelines aufgenommen wurde. Die Brauereien hatten lange Zeit das Problem, dass sie mit diesen Bieren, die oft riesige Fangruppen hatten, bei Wettbewerben nicht gewinnen konnten. Daher beobachten Organisationen wie die BJCP auch den Markt und seine Trends, um zu erkennen, wo aus einer kreativen Bieridee ein neuer Bierstil wird. Die meisten Wettbewerbe haben deswegen auch eigene Kreativbierkategorien. Hier stellen sich aber schnell persönliche Präferenzen ein, da die Bandbreite riesengroß ist und nur das Gesamtkunstwerk betrachtet werden kann.

New England IPA, kurz NEIPA, sind optisch deutlich trüber.
— Hazy IPA erfreuen sich zuletzt großer Beliebtheit, neuerdings auch auf Bewerben. —© Unsplash/Jose Hernandez Uribe

Du hast bereits ein Spannungsfeld innerhalb dieser Wettbewerbe angesprochen, siehst du noch andere?

Es stößt in eine ähnliche Richtung: Ich habe mich schon immer gefragt, weshalb häufig Biere in bestimmten Kategorien gewinnen, die nicht besonders spannend oder kreativ sind. Wenn man das Ottakringer Helle als Beispiel nimmt, das ein wirklich gutes Bier ist, würde dieses wohl niemand als Auswuchs der Kreativität bezeichnen, aber es gewinnt regelmäßig in Wettbewerben als »Bestes Helles«. Das liegt einfach daran, dass solche großen Brauereien durch Technik und fokussierte Qualitätsprozesse, ihre Biere punktgenau auf diesen Bierstil optimieren. Ein Märzenbier von einer kleinen Brauerei, ist möglicherweise sehr schmackhaft, aber durch seine kreative Interpretation fliegt es bei solchen Wettbewerben garantiert raus.

Wie wird man denn in eine Wettbewerbsjury eingeladen?

Das ist sehr unterschiedlich. Ich selbst wollte wissen, wie ein solcher Wettbewerb funktioniert, und habe einen langjährigen Bekannten bei der Brussels Beer Challenge angesprochen, der mich dann dorthin eingeladen hat. So war ich in meinem ersten Wettbewerb. Jurorinnen und Juroren nehmen an diesen Wettbewerben in der Regel ehrenamtlich teil und bestreiten ihre Reisekosten selbst. Gerade bei internationalen Wettbewerben werden oft nur Hotel und Verpflegung vor Ort gestellt. Das zeigt die enorme Leidenschaft der Leute für das Thema und wie die Bier-Community tickt. Beim ersten Mal weiß man überhaupt nicht, was einen erwartet. Glücklicherweise sitzen aber immer mehrere Leute an einem Tisch und die erfahrenen Juroren nehmen einen gewissermaßen an der Hand. Dadurch wird auch keinem Bier Unrecht getan. Nach der dritten, vierten Runde weiß man meist, worauf es ankommt. Oft werden zehn bis zwölf Biere gleichzeitig präsentiert, um einen ersten Vergleich herstellen zu können. Nach den ersten Verkostungsnotizen, kristallisieren sich schnell Favoriten heraus, bei denen dann die Punkte addiert werden. Selten sind sich die JurorInnen völlig uneinig, höchstens bei den Kreativkategorien habe ich völlige Uneinigkeiten erlebt.

Dann gibt es ja auch noch die KonsumentInnenseite. Hast du Tipps, wie sich diese angesichts der zahlreichen Auszeichnungen zurechtfinden können?

Ich vergleiche es immer mit Filmkritik. Da gibt es einen Haufen FilmkritikerInnen und die verteilen die Oscars in verschiedenen Kategorien, aber das hilft mir überhaupt nichts als Zuschauer, wenn ich das Genre, die Schauspieler oder das Thema nicht mag. So ist es da auch. Die Auszeichnungen sind letztlich eine handwerkliche Bewertung des Bieres. Diese Preise zeigen, welche Brauereien ihr Handwerk gut verstehen. Brauereien, die über eine gewisse Anzahl an Jahren hinweg gewinnen, machen irgendwas richtig. Aber als KonsumentIn muss man am Ende des Tages immer noch herausfinden, was einem persönlich schmeckt. Absolute AnfängerInnen können diese Auszeichnungen natürlich als Anhaltspunkt nehmen. Letztendlich nehmen viele Brauereien aber nicht an Wettbewerben teil, da diese eben auch Geld kosten. Ich glaube wirklich, dass die meisten KonsumentInnen kein Bier kaufen, weil es irgendwo gewonnen hat. Die Preise sind auch ein bisschen Teil der lokalen Identität. Bei Landeswettbewerben wie der Austrian Beer Challenge ist zwangsläufig ein österreichisches Bier auf Platz eins. Da ist es bei internationalen Beer Challenges dann umso spannender, wenn innerhalb von Kategorien wie »German Style Pilsner« eine amerikanische Brauerei gewinnt.

Das Bild zeigt die Auszeichnungen des World Beer Cup.
© Brewers Association

World Beer Cup

Dieser internationale Bierwettbewerb aus den USA ist einer der größten der Welt. Er wird seit 1996 alle zwei Jahre von der Brewers Association, dem Zusammenschluss der kleinen und mittleren Brauereien in den USA, ausgerichtet. Aktuell werden in 111 Stilkategorien Preise vergeben und die GewinnerInnen mit Gold-, Silber- oder Bronze-Medaillen ausgezeichnet. Es werden aber nicht automatisch die drei besten Beiträge in einer bestimmten Kategorie ausgezeichnet: Wenn die JurorInnen feststellen, dass eine Kategorie drei hervorragende Beispiele für den jeweiligen Stil enthält, vergeben sie einzelne Preiskategorien auch an mehrere TeilnehmerInnen.

European Beer Star

Dieser wird seit 2004 vom Verband Private Brauereien Deutschland und vom Verband Private Brauereien Bayern veranstaltet. Berücksichtigt werden überwiegend Bierstile, die ihren Ursprung in Europa haben, beteiligen können sich aber Brauereien aus der ganzen Welt. Nach dem olympischen Bewertungsprinzip erhalten hier nur die besten drei Biere der derzeit 73 Kategorien einen Award. 72 davon sind nach den BJCP-Style-Guidelines definiert, in der neuen Spezialkategorie »Free-Style Beer« werden außergewöhnliche Kreationen gewürdigt, die sich nicht in ein vorgegebenes Raster zwängen lassen.

Ein Gruppenfoto aller GewinnerInnen der Austrian Beer Challenge 2022.
© BierIG

Austrian Beer Challenge

Die österreichische Staatsmeisterschaft der Brauereien und HausbrauerInnen entstand vor mittlerweile mehr als 15 Jahren. Sie steht unter der Schirmherrschaft der Bier IG, der unabhängigen Interessengemeinschaft der BierkonsumentInnen, und prämiert jährlich die besten Biere der gewerblichen Brauereien und HobbybrauerInnen des Landes. Die derzeit knapp 120 international anerkannten BJCP-Sortenrichtlinien sind für den kurz ABC genannten Wettbewerb thematisch in insgesamt 18 Kategorien gruppiert. Der gesamte Staatsmeister sowie die Zweit- und Drittplatzierten wurden 2022 aus den Siegern in den einzelnen Kategorien ermittelt. Das Bier-IG-Qualitätssiegel wurde weiteren 112 kommerziell erhältlichen und 90 HobbybrauerInnen-Bieren verliehen, die es mit einer Mindestpunkteanzahl ins Finale geschafft haben.

Die PreisträgerInnen der Best of Show 2022.
© BierIG

Ergebnisse der Austrian Beer Challenge 2022

Ganze 608 Biere – 319 Bieren von gewerblichen Brauereien und 289 von HobbybrauerInnen – wurden heuer zur Teilnahme an der ABC angemeldet. Mit vier Staatsmeistertiteln und einer Silbermedaille darf sich die Ottakringer Brauerei »Brauerei des Jahres 2022« nennen. In der Finalrunde wurde das Fohrenburger Weizen als »Best of Show«, also als überzeugendstes Bier aller Kategoriesieger, prämiert. Unter den HobbybrauerInnen dominierte erneut die Privatbrauerei Kremmel aus Lustenau in Vorarlberg mit vier Staatsmeistertiteln, zwei Silbermedaillen und drei Bronzemedaillen. Der Titel »Best of Show« ging hier an Erwin »Bierix« Zupancic aus Radenthein in Kärnten mit einem Zirbenbier: dem ZirbAle #2022.