Dass man Gare du Midi und Gare Centrale nicht verwechseln sollte ist ein klassisch Brüsseler Insider-Schmäh. Es ist Midi, der Südbahnhof, wo wir uns in unseren Zug nach Berseel setzen. Im Ortsteil Lot steht im Industrieviertel ein wunderschön neu renovierter Standort der Brouwerij 3 Fonteinen – das “lambik-O-droom”. 3 Fonteinen ist eine der ältesten Lambic Brauereien/Blendereien, die ihren Ursprung bereits im Jahr 1883 hat. Davon merkt man hier oberflächlich nichts. Nach Betreten des flachen und außen etwas uncharmenten Industriegebäudes fühlt man sich in dem modern designten Gastraum wie in einer anderen Welt.
Hier regieren warme Farben, Eichenholz. Auf der Bar steht prominent ein Plattenspieler, in die Bar eingelassen sind Regale, in denen Platten von Jazz bis Noiserock stehen. Hin und wieder finden sich modern verpackte Memorabilia, wie Fotos des aktuellen Besitzers Armand mit seinem Vater Gaston Debelder oder Urkunden aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert. Dazwischen sind Merchandise-Ausstellungsstücke und große Fenster in den Lagerraum. In dem stehen unzählige, über zwei Meter hohe Foeder. Foeder sind riesige Fässer, in denen die hier gebraute neben angelieferter Würze lagert. Denn 3 Fonteinen brauen nicht all ihre Würze selbst. Erst wenige Tage vor unserem Besuch wurden 14.000 Hektoliter der Brauerei Lindemans angeliefert. Diese wird dann hier gelagert und profitiert von den Wildhefen und Mikroorganismen in Luft und Holz.[1] In der Welt belgischen Sauerbiers hat das Blending eine lange Tradition, erst 1998 begann Armand Debelder selbst zu brauen.
Auf einer Tour durch die Anlage bekommen wir ein Glas eines ein Jahr alten, ungeblendeten Lambics zu trinken. Tannine und würzige Noten wechseln sich mit adstringierender Säure, es ist bernsteinfarben, herb und fast komplett flach. Auch bei 3 Fonteinen spürt man den Klimawandel. Viele Biere werden mit Früchten aus dem Umland hergestellt, zum Beispiel das berühmte „Schaarbeekse Kriek“, mit den im Raum Brüssel heimischen kleinen Sauerkirschen. Doch die wilden Wetterumschwünge bescherten vor dem Rekord-Fruchtjahr 2018 immer kleinere Ernten.
Der wohl einschneidendste Moment der letzten Jahre war wohl trotzdem, als Armand Debelder eines Morgens im Jahr 2009 die Tore zu seiner Produktionsstätte öffnete und von einer Hitzewelle und dem Geruch undichter Flaschen fast erschlagen wurde. Nicht der Klimawandel, sondern ein kaputter Thermostat sorgte dafür, dass in der Flaschengärungs-Halle tausende von Flaschen explodierten oder zumindest ungenießbar wurden. Die Brouwerij 3 Fonteinen war nach dem beginnenden Lambic-Hype in den frühen 2000ern wieder am Boden aufgeschlagen. Finanzielle Verpflichtungen einhergehend mit dem Ausfall eines ganzen Produktionsjahres führten dazu, dass ein Konkurs im Raum stand.
An diesem Moment der Brauereigeschichte angekommen, wird gerne die Geschichte das „Armand’Spirit 2009“ erzählt, eines Destillats, welches Debelder aus den noch genießbaren Resten des Produktionsjahres 2009 hergestellt und zum Wiederaufbau der Brauerei verkauft hatte – und nach wie vor verkauft. Doch ebenso offen geht man damit um, dass es ohne einen großen privaten Investor nicht dazu gekommen wäre, dass die Brouwerij 3 Fonteinen zehn Jahre nach diesem Unglück wieder so gut dasteht.
Die Produktion ist so hoch wie noch nie zuvor, und im gemütlichen Gastlokal kann man sich durch über 40 Biere der Brauerei kosten. Manche davon grundverschieden, manche davon Vintages. Das Personal der Brauerei ist jung und alternativ. Man hat ein bisschen das Gefühl dass das, was früher Punk Rock war, heute die Lambic-Produktion ist. Beide müssen am Grat zwischen Authentizität und Kommerzialisierung wandern. Ein Balanceakt, die hier durchaus gelungen scheint. Wir bleiben so lange, dass wir fast unseren Zug zurück versäumen. Doch in der Nähe des Gare du Midi wartet bereits die nächste Brauerei auf uns.
Das ist Teil 3 einer dreiteiligen Serie aus Brüssel. Teil 1 könnt ihr hier lesen, Teil 2 hier.
[1] Es gibt einen Trick, an dem man sofort erkennt mit welcher Würze das Lambic, dass man vor sich hat, hergestellt wurde: Hauseigene Würze wird in braunen, fremde in grünen Flaschen abgefüllt.